Kann KI ein Theaterstück schreiben?
Zweites Theaterfestival der WvO experimentiert mit ChatGPT & Co.
Gegen Ende des Schuljahres zeigen die Kurse des Faches Darstellendes Spiel (DS) dem öffentlichen Publikum traditionell, was sie draufhaben – bzw. was im Laufe des Schuljahres erarbeitet wurde. An der Wilhelm-von-Oranien-Schule (WvO) präsentierten nun im Rahmen des zweiten Theaterfestivals die Kurse Q2 von Lehrerin Jana Gehlen, E2 unter Leitung von DS-Fachsprecher Daniel Eisert und der Wahlunterricht Klasse 10, betreut von Altmeister Harald Minde, im voll besetzten Atrium, dass Künstliche Intelligenz zwar Spielszenen schreiben kann, diese aber auch gekonnt auf die Bühne gebracht werden müssen. Ohne Fleisch und Blut geht’s also nicht – und auch nicht ohne eine gehörige Portion Gehirnschmalz, wie das Publikum angesichts mancher gelungener Pointe oder hintersinnigen Aha-Effekts feststellen durfte.
Die Schauspieler des E2-Kurses präsentierten also das selbst(?) geschriebene Stück „Aura macht Theater – ein Stück von, mit und über KI“, in welchem die Experimente eines finanziell klammen Wissenschaftlers mit Künstlicher Intelligenz gänzlich aus dem Ruder laufen und schließlich zu einer Spaltung der Gesellschaft in Pro-Aura-Aktivisten und Widerstandskämpfer führen. Im Stil von Brechts Epischem Theater wurde jeder Akt vorher mit einer kurzen Inhaltsangabe eingeführt und dann die Spirale der gesellschaftlichen Eskalation eindrucksvoll weitergedreht, bis sogar in Talkshows auftretende Minister KI-gesteuerte Statements herunterratterten. Die Chancen, aber noch mehr die Gefahren einer außer Kontrolle geratenen KI wurden dem Publikum in „Aura“ auf beklemmende Art und Weise vor Augen geführt.
Vordergründig einem älteren literarischen Stoff zugewandt, doch thematisch in dieselbe Kerbe schlug der Q2-Kurs von Jana Gehlen, der sich E.T.A. Hoffmanns Nachtstück „Der Sandmann“ widmete, welcher zugleich in Hessen Abiturlektüre ist. Die Truppe machte aus der Vorlage ein „Sandmännchen“ und verarbeiteten die Parade-Erzählung der Schwarzen Romantik in kurze Spielszenen mit manchmal eher schwarzem Humor und mit wechselnder schauspielerischer Besetzung. So wusste man als Zuschauer manchmal nicht, ob man mit dem armen Nathanael, der – vom grausamen Advokaten Coppelius als Kind traumatisiert – eher Mitleid haben oder ihn auslachen sollte, wenn er dem zwielichtigen Wetterglashändler Coppola und noch viel mehr dem Automatengeschöpf Olimpia auf den Leim ging. Sehr hellsichtig hat E.T.A. Hoffmann in dieser Figur die Ängste vor den Täuschungen durch Künstliche Intelligenz vorausgeahnt, sodass auch in diesem Stück der rote Faden des Abends aufgegriffen wurde.
Der jüngste Theaternachwuchs, der beim Festival sein Stück präsentieren durfte, war der Wahlunterrichtskurs 10 von Harald Minde mit dem Stück „Und es hat ZOOM gemacht“. Nicht ohne Grund war auf dem Werbeplakat die Warnung „FSK ab 12“ abgedruckt, denn es wurde auffällig viel und auffällig spektakulär gestorben in dieser Collage aus Spielszenen und Rezitationen von Liedtexten aus Liebesliedern und Schnulzenschlagern. Die groteske Montage von ausgelutschten Zuneigungsbekundungen einerseits und Katastrophen mittleren bis globalen Ausmaßes andererseits – von Stromschlägen bei ungeschickten DIY-Arbeiten bis Atombombenexplosionen war so ziemlich alles dabei – bot sowohl Raum für die große Spielfreude der Mannschaft wie auch für die Minde-typischen pantomimischen Slapstickeinlagen.
Das Publikum dankte den drei Ensembles für einen gelungenen Theaterabend mit viel Applaus – und wurde im Übrigen vom Jahrgang Q2 in den beiden Umbaupausen hervorragend mit Imbiss und Getränken versorgt.