Sind Sie sicher, dass Sie das selbst geschrieben haben?
Rassismus im Alltag kommt häufiger vor, als man denkt.
Zwei Erlebnisberichte für WvO-Neuntklässler
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe zum Jubiläum „75 Jahre Grundgesetz“ an der Wilhelm-von-Oranien-Schule (WvO) referierten und diskutieren Dr. Christian Charles Ondo-Meva, Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie an den Dill-Kliniken in Dillenburg, sowie Dirk Hardt, Herborner Rechtsanwalt und Bürgermeister a.D. von Driedorf, vor bzw. mit drei Geschichte-Kursen der Jahrgangsstufe 9 am Dillenburger Gymnasium. Dabei stellte sich heraus: Rassistische Sticheleien gibt es öfter, als man meint. Und auch einige Schülerinnen und Schüler haben damit schon so ihre Erfahrungen gemacht.
Zu Beginn der Doppelstunde, an welcher die Kurse der Lehrer Nico Hartung, Kerstin Renkhoff und Julia Silbermann teilnahmen, erzählte Dr. Ondo-Meva aus seiner spannenden Biografie. Er stammt aus einer angesehenen Familie in Kamerun, sein Vater war dort stellvertretender Kultusminister und international in UNO-Gremien mit dem Thema Bildung befasst. Als junger Mann kam Ondo-Meva nach Europa, zunächst nach Paris, und dies sei für ihn schon ein gravierender Einschnitt gewesen. „Überall Marmor“, erinnert sich Ondo-Meva, „wohin man auch schaute – das war in meiner Heimat anders.“ Aber die optischen Unterschiede und kulturellen Eigenarten traten rasch in den Hintergrund, als er bemerkte, dass er in Europa und dann speziell in Deutschland – er studierte in Marburg und Hannover – immer wieder mit merkwürdigen Nachfragen oder unbegründeter Skepsis gegenüber seiner Person konfrontiert wurde. Warum wurde er bei Auslandsreisen an der Grenze so viel intensiver kontrolliert als andere Reisende? Und dann auch noch von ein und demselben Zollbeamten, der ihn sowohl bei der Hinreise wie auch bei der Rückreise herauswinkte und filzte? Warum wurde er, als er seine Bewerbungsunterlagen einreichte, von der Sekretärin penetrant ausgefragt, ob er das alles wirklich selbst geschrieben habe? Warum wurden er und seine Familienangehörigen am Bahnhof von der Polizei um ihre Ausweise gebeten und warum gab es ungläubige Nachfragen, ob sie wirklich alle promovierte Akademiker seien, wie den Unterlagen zu entnehmen war? Kurzum – alle diese Erlebnisse zeigten ihm damals und nun in der Doppelstunde den Schülerinnen und Schülern, wie sehr doch ausschließlich eine dunkle Hautfarbe für Vorurteile beim Gegenüber sorgen kann. Er selbst, so Ondo-Meva, habe gelernt, mit diesen Ungerechtigkeiten umzugehen, aber am schlimmsten sei es für ihn, wenn seine Kinder oder seine Frau damit im Alltag konfrontiert würden und er dann nicht unmittelbar eingreifen könne, weil er nicht dabei sei. Dr. Ondo-Meva appellierte an seine Zuhörer: „Die Sprache ist die schärfste Waffe des Menschen! Bestimmte Worte können sehr verletzen. Deshalb muss man sich gut überlegen, wie man mit seinem Gegenüber spricht.“ Empathie und Reflexion, so die Botschaft des Erlebnisberichts, sind daher unabdingbar, um alltagsrassistische Situationen zu vermeiden.
Dem pflichtete Rechtsanwalt Dirk Hardt energisch bei. Er und Dr. med. Ondo-Meva sind seit vielen Jahren gut befreundet, und Hardt gab zu bedenken: „Wenn ein Rassist Menschen nur wegen ihrer andersartigen Hautfarbe verabscheut, dann stellt euch mal vor, der würde nach einem Unfall mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Dillenburger Krankenhaus eingeliefert und dann stünde Dr. Ondo-Meva dort vor ihm und könnte ihm mit einer OP das Leben retten – da würde der Rassist doch auch nicht sagen: Nein danke!, wenn es ums eigene Überleben geht!“ Hardt berichtete ferner von seinen Erlebnissen als Driedorfer Bürgermeister während der Flüchtlingswelle 2015 und als Strafverteidiger bei Gericht, wo auch immer wieder mal alltagsrassistische Phänomene zu beobachten waren. „Klar gibt es kriminelle Ausländer“, so Hardt, „aber deswegen kann man doch nicht alle Menschen mit Migrationshintergrund verdächtigen. Wer eine Straftat begeht, muss dafür bestraft werden; egal welche Hautfarbe.“ Er warnte in diesem Zusammenhang auch davor, Kriminalitätsstatistiken voreingenommen zu interpretieren.
In einer abschließenden Frage- und Gesprächsrunde trauten sich auch einige Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund von eigenen Erlebnissen zu berichten – sei es beim Einkaufen, auf dem Fußballplatz oder in der Schule. Resümee der Doppelstunde: Alltagsrassismus gibt es immer wieder – manchmal bösartig gewollt, ein andermal aber auch durch ungeschickte Wortwahl oder unbedachtes Verhalten. Ersterem ist energisch entgegenzutreten, letzteres bedarf der Aufklärung und in der nächsten Situation eines umsichtigeren Verhaltens dem Mitmenschen gegenüber. Denn Menschen sind wir alle – egal welcher Hautfarbe.