Ein Ort materialisierter Unbegreiflichkeit
Schüler der WvO auf Gedenkstättenfahrt nach Buchenwald – ein Erlebnisbericht
Bedrückende Emotionen, interessante Informationen und direkte Einblicke, das waren nur ein paar der von unserer Gruppe in den Vorbereitungstreffen gesammelten Erwartungen. Zusammen mit unseren begleitenden Lehrkräften Julia Schäfer-Schmitt, Elena Kuchenbecker und Nico Hartung machten wir uns auf die Reise zum Ettersberg in der Nähe von Weimar. Diesen nutzte die SS ab dem Jahr 1937, um eine stetig wachsende Haftstätte zu errichten, die sich zu einem Ort systematischen Mordens entwickelte. Während der siebenjährigen Zeit des Bestehens waren etwa 266.000 Menschen aus verschiedenen Ländern in Buchenwald inhaftiert, mehr als ein Fünftel davon verließ das Lager nie wieder und ein weiterer beträchtlicher Anteil wurde mit dem Ziel des Todes in andere Lager deportiert.
Unsere Schlafstätte auf dem Gelände erinnerte nur noch vage an ihre Vergangenheit, lediglich die frontale Ausrichtung dieses und mehrerer anderer Häuser lässt ihre Geschichte als Kasernen der SS erahnen. Jedoch wurde die außerhalb des ehemaligen Häftlingslagers platzierte Jugendbegegnungsstätte seinerzeit hauptsächlich zur Ausbildung von SS-Männern benutzt. Nach unserer Ankunft stellte sich uns am Dienstagmittag ein freundlich schauender älterer Herr vor und sorgte unter Zuhilfenahme eines historischen Luftbildes der Anlage für einen Einstieg in die Thematik. Dr. Helmut Rook strahlte vom ersten Moment an Sympathie und Verständnis aus. Es sollte sich in den folgenden Tagen zeigen, dass der Gedenkstättenpädagoge auch den Umgang mit den Jugendlichen sowie die didaktische Aufbereitung äußerst gut beherrschte. Wir machten mehrere Führungen durch das Gelände sowie eine durch Weimar, besuchten das im ehemaligen Lager befindliche Museum und trugen mit ein paar Arbeiten entlang der ehemaligen Bahnlinie nach Buchenwald zum Erhalt des Gedenkweges bei. Einige Teilnehmende aus unserem Kurs durften die Namen von nach Auschwitz deportierten und dort ermordeten Kindern und Jugendlichen in Steine gravieren, während andere den Pfad befestigten.
Unsere Fahrt in dieses Gelände ist insgesamt von einer Ambivalenz geprägt. Manche Teile des Gebietes wirken auf den nichtwissenden Besucher wie eine Parkanlage, der Blick kann grandios sein, die Natur scheint zu ruhen. Doch unter dieser oberflächlichen Schicht existiert die Vergangenheit, ein unmenschliches Grauen. Die meisten Gebäude sind nicht mehr erhalten, lediglich Bruchstücke weisen auf ihre ehemalige Existenz hin und trotzdem ist diese ständig präsent. Dieser Ort birgt den Schmerz von vielen und diese Wunden sind sichtbar, unsere Gruppe muss mit ihm umgehen. Jeder tut das letztendlich auf seine eigene Art und Weise, doch abschließend verarbeiten kann man dies nicht.
Direkt vor dem Zaun des ehemaligen Häftlingslagers befand sich ein kleiner Zoo, erbaut vom ehemaligen Lagerkommandanten Karl Koch. Er, seine Frau sowie seine Kinder machten hierhin Ausflüge, lebten insgesamt im Luxus, während auf der anderen Seite des elektrischen Zauns viel für einen Schluck Wasser getan werden musste.
Es wäre naiv, die Gedenkstätte Buchenwald vornehmlich als Ort geschichtlicher Wissensvermittlung anzusehen, vielmehr geht es um unsere Weltbilder, die hier auf die Probe gestellt werden. Was ist der Mensch oder was sollte er sein? Welche Verantwortung habe ich und wofür sollte ich mich einsetzen? Relationen beginnen sich zu verändern, viele Sorgen erscheinen nicht mehr wichtig und das eigene Selbst muss genauer beleuchtet werden. Auf der anderen Seite kann die Gedenkstätte auch Dankbarkeit hervorrufen. Dankbarkeit für die Überlebenden, das Leben an sich und die Hoffnung. Der Nationalsozialismus und seine Verbrechen sind kein abgeschlossenes Kapitel in einem Geschichtsbuch, sondern sind stets auch aktuell. Es gibt wohl nur wenige Orte, an denen diese Lehre so schmerzlich zutage tritt, wie das in der Gedenkstätte Buchenwald der Fall ist. Und darin liegt der Grund, warum diese Begegnung mit der materialisierten Unbegreiflichkeit eine so hohe Bedeutung trägt.
Nach fast vier Tagen stiegen wir wieder in den Bus und unser „Gepäck“ hatte sich verändert. Das lag weniger daran, dass manche Dinge in der Jugendbegegnungsstätte vergessen wurden, als dass jeder und jede von uns etwas mitgenommen hatte.